„Drei Fragen an ...“ Heiko Kretschmer, Geschäftsführer von Johanssen + Kretschmer

Gute Stakeholder Kommunikation muss immer auch das Ziel verfolgen, Gesellschaft zusammenzuführen. - Heiko Kretschmer

In der Interviewreihe „Drei Fragen an…“ des Leipziger Public Relations Studierende e.V. (LPRS) sprechen wir auch dieses Semester mit Persönlichkeiten aus der PR-und Kommunikationsbranche über die neusten Trends und aktuellen Herausforderungen. Ganz nach dem Motto: Mehr Wissen. Mehr Kennen. Mehr Können.    

Diesmal sprechen wir mit Heiko Kretschmer, dem langjährigen Geschäftsführer und Gründer von Johanssen + Kretschmer, einer führenden Beratung für Stakeholder-Kommunikation und Management. Im Gespräch geht es um die Nachhaltigkeit von Unternehmensdigitalisierung und darum, ob verschiedene Kommunikationsbereiche von Hybridformaten profitieren können.  

Sie sind nun seit 2001 Geschäftsführerbei Johanssen + Kretschmer und haben somit einen Wandel des Unternehmens begleitet. Inwiefern hat sich die strategische Kommunikationsberatung durch Digitalisierung – gerade auch in Zeiten der Pandemie – verändert?  

Ich glaube hier greifen langfristige Entwicklungen ineinander, die nicht allein auf Digitalisierung zurückgeführt werden können, von dieser aber wesentlich geprägt werden. Zugleich muss man aber immer wieder feststellen, dass es regelmäßig kurzfristige Hypes in der Branche gibt, die nicht nachhaltig sind. Zwei Beispiele: Second Life und Clubhouse. Darum sollten Brancheneinsteiger:innen immer genau überlegen: Welche Trends sind langfristig und welche nicht?

In diesen Zeiten kann man sich nicht mehr darauf verlassen, das einmal Erlernte auch in Zukunft anwenden zu können. Man muss sich ständig hinterfragen und offen bleiben.  

Das spannende an der Digitalisierung ist, dass man nicht nur ständig Neues ausprobieren, sondern auch an nachhaltigen Veränderungen mit wirken kann. Das erfordert eine kritische Reflektion dessen, was in der Kommunikationswelt und in den sozialen Medien mit welcher Dynamik geschieht und wie dies zu gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklungen passt. So lassen sich spezifische Stakeholder-Ansprachen erkennen: politische Kampagnen auf Instagram, die CEO- Positionierung oder Thought Leadership auf LinkedIn etc.  

Noch wichtiger für unsere Arbeit ist aber die Tatsache, dass unsere Gesellschaft in Teilöffentlichkeiten und Filterblasen zerfällt. Es entstehen Bestätigungsräume, in denen man Zustimmung erfährt, egal wofür. Dies wird zwar durch Algorithmen bestärkt, es wäre aber eine unzulässige Verkürzung, allein der Digitalisierung oder den sozialen Medien die Schuld zu geben. Diese beschleunigen diesen Zerfallsprozess und manifestieren ihn in Echoräumen. Denn schon davor begann eine grundlegende gesellschaftliche Entwicklung: Es geht um einen globalen Glaubwürdigkeitsverlust von Wirtschaftseliten, Politikeliten und Medien.  

Beziehungen aller Art, wie geschäftliche Allianzen und Stakeholder, spielen eine große Rolle in der Arbeit Ihres Unternehmens. Um diese auch digital aufrecht erhalten zu können, bieten Sie z.B. das Format Echokammer als Live-Veranstaltung und Dialogmöglichkeit an. Warum ist dieser Blick nach außen auch in Verbindung mit Ihrem politischen Fokus so wichtig, und wie können vermehrte digitale oder Hybrid-Formate der PR zugute kommen?  

Im ersten Lockdown haben wir sofort gemerkt, dass Stakeholder Kommunikationen und die vielen Dialogformate unserer Kunden zum Erliegen kommen – und damit so ziemlich alle Projekte vom Stillstand bedroht waren. Denn für die meisten Projekte muss man in echte Interaktion mit Menschen treten, nicht nur über Medien. Daher haben wir uns kurzfristig entschieden, in ein Streaming Studio zu investieren. Hier können wir unterschiedliche Dialogformate veranstalten und ausstrahlen: Pressekonferenzen, Abgeordneten-Briefings, Informationsveranstaltungen, Roundtable Debatten, moderierte Workshops, Podiumsdiskussionen und vieles mehr.  

Eine der spannendsten Fragen ist: Welche Möglichkeiten bieten digitale Formate und wo sind ihre Grenzen?  

Aber Vorsicht: Digitale Formate stoßen dort an Grenzen, wo zwischenmenschliche Interaktion zentral für den Erfolg einer Veranstaltung ist. Denken Sie an Konfliktmediation, Netzwerk-Treffen oder kreatives Brainstorming. Hier funktionieren digitale Formate oft nur, wenn die Gruppe sich bereits sehr gut kennt und daher auch digital „zwischen den Zeilen lesen“ und verstehen kann. Darum: Erst das Ziel einer Veranstaltung exakt herausarbeiten, bevor man sich für eine virtuelle Lösung oder ein persönliches Treffen entscheiden kann. Grundsätzlich gilt, je fachlicher der Austausch ist, je mehr es um Systematisierung und Expertise geht, umso mehr kann das in digitalen Medien erarbeitet und wiedergegeben werden. Hier etablieren sich digitale Formate dauerhaft als Regelfall. Zugleich bin ich überzeugt: Viele digitale Tools wie Slido-Umfragen, Miro-Boards oder Live-Protokolle werden zum Bestandteil von realen Veranstaltungen werden.

Digitale Medien helfen gerade bei öffentlichen Veranstaltungen, die Diversität zu steigern.  

Zu Beginn der Pandemie gab es zahlreiche Bedenken, die auch in der politischen Diskussion eine Rolle spielten: Der Zugang zu digitalen Medien sei ungleich und das werde hohe Zutrittsbarrieren für digitale Beteiligung aufbauen. Die Realität ist inzwischen eine andere: Die Quote an jungen Frauen, Familienvätern und anderen vorher wenig repräsentierten Gruppen unter Teilnehmer:innen solcher Veranstaltungen ist definitiv gestiegen. Die Diskussion verliert an Konfrontation, es nehmen Menschen daran teil, die einfach nur ihr Informationsbedürfnis befriedigen wollen.

Durch den Stakeholder-Fokus Ihres Unternehmens und die Arbeit an der Schnittstelle von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, vereinen Sie viele verschiedene Interessengebiete. Welche Herausforderungen ergeben sich durch die zunehmende Politisierung von Unternehmen für die strategische Kommunikationsberatung, und was empfehlen Sie Ihren Kund:innen in diesem Zusammenhang?

Die meisten Unternehmen müssen sich Menschheitsfragen wie Klimawandel, Energie-, Mobilitäts- und Wärmewende stellen – während in vielen Staaten die soziale Kluft größer wird. Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt und die Biografien drastisch. Erstmals müssen größere Teile der jungen Generation berechtigterweise Angst haben, dass ihnen der soziale Aufstieg verwehrt ist. Die Beziehungen z.B. zwischen Arbeitgeber:innen und Mitarbeiter:innen oder zwischen Unternehmen und seinem sozial-politischen Umfeld werden daher nicht nur komplexer, sondern auch konfliktärer.

Die Politisierung von unternehmerischem Handeln ist für mindestens die nächsten 20 Jahre ein unumkehrbarer Prozess.

Jedes Unternehmen muss eine gewisse Breite der gesellschaftlichen Anforderungen bedienen und politische Neutralität wahren. Die Beziehung zwischen dem Unternehmen und seinen Stakeholdern müssen daher wertfrei analysiert werden, um darauf reagieren zu können. Nur so kann man das erforderliche Erwartungsmanagement betreiben. Hier zeigt sich der Wert von immateriellem Kapital in Form von Beziehungen: Denn wenn das Beziehungskapital schwindet, folgt das materielle Kapital in kürzester Zeit.

Deswegen ist Stakeholder Management das spannendste Arbeitsfeld unserer Branche. Es ist komplex. Es ist meist hoch relevant. Es ist politisch, ohne Politik selbst Politik zu sein.

geschrieben von Sophia Heinl

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